Sweatshopproduktion Thema bei Maybrit Illner – aber ist das genug?

Es rummst echt gewaltig im Karton & das ist gut so. Erst erwischt es H&M, dann sind kik und Lidl unter Beschuss und während ich diese Zeilen schreibe, diskutiert man fleißig bei Maybrit Illner über den Preis, den Menschen in anderen Teilen der Welt für unsere Kleidung bezahlen müssen. Auslöser sind zwei Näherinnen aus Bangladesh, die seit einiger Zeit zusammen mit der Clean Clothes Campaign medienwirksam auf das schäbige Gebaren nahezu aller Textilhersteller und -händler hinweisen.

Eigentlich müsste ich ja auch vor dem Fernseher sitzen und mir den Rest der Sendung geben, doch der scheinheilige Auftritt von Rudolf Wöhrl hat mir derart die Galle in die Augen getrieben, dass ich mal doch lieber schreibe, bevor ich platze. Laut Herrn Wöhrl sind es mal wieder Politik und Konsument, die den Karren aus dem Dreck ziehen sollen, der Handel kann das natürlich nicht leisten. Dieser brillianten Analyse stellt der Mann auch gleich seine noch brillianteren Rechenkünste entgegen: den doppelten Preis würden faire Produkte im Handel dann kosten und dazu ist der Konsument eben nicht bereit. Aha! Wenn die Näherin in der Konfektion also 10 Cent pro Hose mehr bekommt, steigt der Preis einer Hose bei Wöhrl demnach von 100 auf 200 Euro. Kein Wunder, dass der Mensch so reich geworden ist… bei dieser Margenerwartung.

Wie er jedoch so groß geworden ist, ohne den Markt, der ihn füttert, auch nur annähernd zu kennen? Es ist mir ein Rätsel. Entweder er hatte verdammtes Glück oder er spielt angesichts des steigenden öffentlichen Drucks einfach nur den Ahnungslosen und hofft, dass schon keiner das Ablenkungsmanöver durchschaut.

Ich muss Herrn Wöhrl leider enttäuschen. Es ist Aufgabe des Handels. Der dumme, desinformierte und ignorante Konsument ist genauso eine Erfindung der Markenhersteller und des Handels, wie der angeblich nach Big Brother und Dschungelcamp gierende Quotenzuschauer eine Erfindung des marktforschenden Fernsehens ist. Wer den ganzen Tag nur Sch*** vorgesetzt bekommt, frisst auch Sch***, weil er ganz einfach keine andere Wahl hat und irgendwann fängt er an, nach der Sch*** zu schreien wie ein Junkie, weil ihm alles andere zu fad schmeckt. Aber gut, ich schweife ab und bin ja auch nicht der junge heißsporige M.R.R. dem das desillusioniert alternde TV-Wrack Gottschalk erst in einer extra Sendung die Zwänge und Notwendigkeiten einer idiokratisierten Marktnachfrage erklären muss. Die Self-fulfilling prophecy des Hartz4-Käufer orientierten Kapitalismus weist den Weg nach unten: Qualität runter, Preise runter… irgendwie wird der anspruchslos geizige Kunde schon zu bedienen sein. “So isses eben!”

In wem sich nun heftiger Widerspruch meldet, der hat völlig recht. So isses eben nicht! Genauso, wie der Fernsehzuschauer, der lange genug sucht, anspruchsvolle Sendungen findet, findet der sozial- und umweltethisch anspruchsvolle Konsument Firmen, die ihn bedienen können. Man muss sich schon schwer wundern, warum Frau Illner keinen einzigen dieser Unternehmer eingeladen hat, der Herrn Wöhrl jedes einzelne seiner schlicht falschen und an den Haaren herbeigezogenen Argumente mühelos hätte um die Ohren hauen können. Stattdessen sitzen im Studio nur ein paar Politiker und die Clean Clothes Campaign. Nichts gegen die CCC aber so entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, es gäbe als Gegenbewegung zum Raubtierkapitalismus nur eine motzende Zivilbevölkerung.

Eine solche Aufarbeitung wird diesem brisanten Thema bei Weitem nicht gerecht, denn es geht um weit mehr, als nur die Näherinnen fair zu bezahlen. Die textile Kette ist lang und an allen Ecken und Enden findet man Leichen. Dass sie so lang ist, hat aber auch ihre Vorteile, denn aus unternehmerischer Sicht gibt es damit auch an allen Ecken und Enden Möglichkeiten Kosten anders einzusparen, als über den Lohn. Ein nachhaltiger Unternehmer lässt seine Produkte eben nicht auf vier verschiedenen Kontinenten zusammenbasteln, sondern sucht sich einen Lieferanten, der das alles vor Ort kann. Der 11% Anteil von Transport und Zöllen, den die CCC für eine Jeans errechnet hat, lässt sich auf diese Weise schon einmal auf gut 4% senken. Ganz nebenbei hat dieses Prozedere den Vorteil, dass man seinen Lieferanten relativ transparent halten kann und das bereits vor einer Kontrolle von Außen. Kosten einsparend ist auch die kontrolliert biologische Landwirtschaft. Dünger, Pestizide und Insektizide reißen Riesenlöcher in die Geldbeutel der Baumwollbauern und die Situation wird jährlich schlimmer. Kein Wunder also, dass mittlerweile mehr Kinder auf den Feldern schuften als je zuvor. Um auch hier einmal unsere eigene Bilanz dem Rechenbeispiel der CCC entgegenzuhalten: durch den Verzicht auf Pestizide und Insektizide ist es uns möglich den Anteil der Rohstoff-, Material- und Instanthaltungskosten an einem T-Shirt um 0,5% zu senken und das obwohl Biobaumwolle auf dem Markt wesentlich teurer verkauft wird und obwohl die Bauern fair entlohnt werden und deshalb keine Kinder auf die Felder schicken müssen.

Wir haben uns schon zu einer frühen Phase unseres jungen Unternehmens den Spaß gemacht und haben unsere eigene Lieferkette gegen die Musterjeans der CCC aufgerechnet. Die CCC kommt auf diese Generalisierung:

Kostenverteilung einer Markenjeans im Handel:

Handel: 50%
Hersteller: 25%
Material- und Instandhaltungskosten: 13%
Transport und Zölle: 11%
Lohnkosten: 1%

Wir kommen für unsere biofairen T-Shirts auf:

Handel: 50%
Hersteller: 25%
Material- und Instandhaltungskosten 12,5%
Transport- und Zölle: 4%
Lohnkosten 7%

Zertifizierung und Kontrolle: 1,5%

Zugegeben, die Werte sind stark vereinfacht und es entsteht der Eindruck, als würden die gesunkenen Transportkosten eins zu eins durch die höheren Löhne substituiert. Ganz so einfach ist es natürlich nicht und es spielen noch einige andere Faktoren mit hinein. Z.B. dass sich die Lohnkosten auf die gesamte Kette verteilen, was in der gegenwärtigen Diskussion meist vollständig ausgeblendet ist. In einer Jeans oder einem T-Shirt steckt schon vor der Konfektion jede Menge Arbeit drin, deshalb ist es ja so wichtig, auf die gesamte Kette zu achten. Auch bei dem Verhältnis Hersteller zu Händler handelt es sich um Mittelwerte. Ein Händler, der häufig hohe Mengen abnimmt, bekommt natürlich bessere Preise und umgekehrt. Außerdem arbeiten wir in unseren Hauptsegmenten Merchandising und Produktion für Fremdfirmen sowieso mit ganz anderen, viel geringeren Margen. Aber ich meine, dass unser Beispiel ganz gut beweist, dass es auch anders funktioniert und das man es mit relativ einfachen Mitteln schaffen kann, den Anteil der Lohnkosten zu heben, ohne die Mehrkosten unmittelbar an den Verbraucher weitergeben zu müssen.

Dem Kritiker sei hier gleich gesagt: Ja, die Musterrechnung der CCC stimmt im Großen und Ganzen und lässt sich problemlos generalisieren! Sie als Unsinn und ungültig vom Tisch zu wischen, wie es Rudolf Wöhrl gestern getan hat, ist nicht nur fachlich falsch, sondern auch ökonomisch unsittlich. Jeder qualifizierte Unternehmer sollte sich für seine Kostenfaktoren interessieren, schließlich will man sein Unternehmen doch optimieren. Die Reaktion von Herrn Wöhrl zeigt in gewissem Sinne sehr deutlich die Misere deutscher Textileinzelhändler auf: unbedarft, desinformiert, ignorant und nur auf den eigenen Vorteil bedacht werden sie von den Discountern und Direktvertrieben geradezu überrannt. Und die wollen die Verantwortung wirklich auf Politik und Konsumenten abwälzen?

Nein Herr Wöhrl, es ist Sache des Einzelhandels, faire und biologische Produkte an den Mann zu bringen. Denn eines gilt in der Wirtschaft immer: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!”

3 Kommentare zu “Sweatshopproduktion Thema bei Maybrit Illner – aber ist das genug?”

  1. StoiBär » Blog Archiv » Reicht ein wenig Gerede?

    [...] Den Rest von seinem lesenswerten Beitrag gibt es hier: Sweatshopproduktion Thema bei Maybrit Illner – aber ist das genug? [...]

  2. Hinzmann

    Bester StoiBär, dies ist ein wirklich guter ergänzender Beitrag und Sie hätte in der Runde sicher die gezielte Diskussion und zwar mit den Beispielen, dass es auch anders gehen kann, bereichert. Ja, es ist komplex und mit motzen allein, ist es nicht getan. Eins kann aber festgehalten werden, wenn nicht immer mehr Kund_innen nach fairer Bekleidung oder überhaupt nach den Hintergründen, wie Sachen hergestellt werden, fragen würden, hätte sich kaum etwas bewegt. In diesem Sinn treiben Forderungen auf kritische und politische Weise etwas voran, was unternehmerisch bei vorhandenen Willen durchaus weitgehender umsetzbar wäre und eigentlich selbstverständlich sein muss. Dann würden die Menschen auf der einen Seite der Lieferkette auch nicht gegen die auf der anderen ausgespielt. Das ist ein Teil der unverantwortlichen Praxis bei aller Komplexität in der globalen Beschaffung von Produkten. Generalisierung helfen da nicht weiter, diese sollen veranschaulichen. Wie es besser gehen kann hat die CCC mit zahlreichen Forderungen, Berichten, Studien dargestellt – ist nicht ganz einfach. Manches jedoch doch! Das kann nachgelesen werden, sei es in der Studie zu KiK und Lidl oder Aldi, zu den Markenfirmen oder welche Verbesserungen bei den Überprüfungen und praktischen Umsetzungen passieren müssten. Siehe in: “Quick Fix. Auf der Suche nach der schnellen Lösung. Was bringen Sozial-Audits den Näherinnen in den Sweatshops.”.
    Das paßt nicht ganz in so ein Talkshowformat. Aber könnte. Auf jeden Fall würde es etwas detaillierter werden müssen. Aber zum Glück gibt es ja heutzutage Foren. Nicht wahr? Ach übrigens, es sollen 2,5 Millionen Zuschauer-innen vor dem Fernseher ausgehalten haben. Für manche von diesen war es vielleicht die erste Berührung mit diesem Thema. Wäre schön, wenn einige sich beim Einkauf an bestimmten Werten orientieren aber beispielsweise auch kleine Protestkarten abgeben oder online Näher_innen bei ihrem alltäglichen Kampf um ihre Rechte unterstützen. Wie hieß es? Wer sich rührt … sich regen bringt Segen. Unterstützung der Eilaktionen der CCC: http://www.saubere-kleidung.de Auf ein Neues!

  3. Hinzmann

    “Wie Fair ist Fair – saubere Kleidung auf dem Prüfstand”
    So der Titel des Aktionstreffen der Kampagne für Saubere Kleidung am 6.-7. Februar 2009 in Hattingen.
    Schöne Grüße und herzlich willkommen
    INKOTA-netzwerk

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